Warum ich jungen Talents von Animes abrate

Liebe Leser:innen!

Kürzlich wurde ich bei einem Q&A gefragt, welchen Tipp ich angehenden Sprecher:innen mit auf den Weg geben würde.

Meine Antwort war eine Warnung vor der “Anime-Bubble”, die ich dafür kritisiere, dass sie junge und unerfahrene Sprecher:innen zu einer Subkultur des sozialen Drucks, der Grüppchenbildung, Hetze und Beleidigung verführt und ihnen falsche Werte sowie ein verzerrtes Bild der Synchronbranche vermittelt. Bitte lasst mich betonen, das ist nicht die Synchronbranche und auch nicht die Werte und Skillsets, für die wir als Profis und ausgebildete Mitarbeitende stehen. Uns ist es selbst unangenehm, damit asoziiert zu werden 🙁

Mein Meinungsbeitrag, der aufzeigen wollte, welche Verhaltensweisen in dieser Niche wie entstehen, hat zu Hasspostings derer, die sich gemeint fühlten, geführt. Eben jenes Verhalten, das ich kritisierte und für das sie jetzt selbst den Beweis antreten.

Welche marktwirtschaftlichen Umstände erlauben diese parallele Verhaltenskultur?

Deutschland ist kein Land, wo ultra krass viel Animes geguckt werden – leider! Der Illustrationsstil, die gesamte Popkultur drum herum, hat seit den 90ern den Ruf, sehr kindlich zu sein. Das ist natürlich nicht allgemeingültig denn so wie in jedem anderen Stil und in jeder anderen Kultur kann auch die japanische Animation für eine Vielzahl von Geschichten und Genres benutzt werden. „Chihiros Reise ins Zauberland“ sollte da unser kleinster gemeinsamer Nenner sein.

Die Zielgruppe für Animes ist dennoch eher klein in Deutschland und deswegen stehen hinter den Sychronfassungen, die wir hier haben, keine erprobten Lizenznehmer:innen wie Produktionsfirmen oder Fernsehsender. Klar gibt es große Animes wie „One Piece“ oder „Detektiv Conan“, die eine ProSieben-Tochter vor ein paar Jahren gekauft hat, doch speziell diese Titel sind groß, laufen in langer Tradition seit 20 Jahren und haben hier eine Fanbase – eben die, die damals als kinder das „kindliche“ und er Serie liebten und mit ihr gewachsen sind und Erwachsen wurden. Niemals würde ein Sender einen neuen, kleinen Anime für das Hauptprogramm einkaufen. Die bleiben in aller Regel Liebhaberstücke.

Es gibt einige Kleinunternehmen, die sich mit einem Gründerkredit ein kurzlebiges Studio abseits der Synchronmetropolen aufbauen sowie kleine Verlage die sich Lizenzen dieser Liebhaberstücke-Animes einkaufen. Diese produzieren eine deutsche Fassung meist für den Vertrieb als DVD oder per Streaming-Abo, da kein Sender lineare Sendezeit geschweigedenn Budget für diese unsichere Programmierung hergeben würde. Das sind dann so genannte Direct-to-DVD-Produktionen beziehungsweise Video-on-Demand-Produktionen, die von den Lizenznehmern direkt vertrieben werden.

In den meisten Fällen sprechen wir von neu gegründeten Studios, die kein Portfolio haben, kaum Praxiserfahrung und nicht die Mittel, etablierte Profis in egal welchem Gewerk zu beschäftigen. Einige dieser Studios verschwinden relativ schnell nach einer ersten, kommerziell nicht erfolgreichen Synchronfassung. Bestimmt sind die Mitarbeitenden top ausgebildet und haben nach ihrer Berufsausbildung, Studium oder Fortbildung einen großen Ehrgeiz und Schaffensdrang! Bestimmt wissen Sie alles über Abmischung und Scheduling – doch was das erprobte Miteinander, die Werte und Softskills, die eine wertschätzende und gesunde Produktionsweise ermöglichen angeht, stehen sie noch am Anfang und können gar nicht wissen, was es noch alles zu beachten gibt. Alles außerhalb der Studiotür wird leichtfertig als „nicht unser Problem“ bewertet. Schließlich geschieht das ja nicht im Geschäft und nur darum geht es, so der Felschluss. Eine wertschätzende, respektvolle und gesunde Zusammenarbeit mit professionellen Sprachschauspieler:innen beginnt schon vor der Tür, wenn das Gegenüber noch Zuhause auf dem Sofa sitzt und die Anfrage bekommt.

Viele etablierte Sprecher:innen entscheiden sich daher kategorisch dafür, nicht bei Animes mitmachen zu wollen, da sie höhere Standards in Sachen Umgang und Produktionsqualität gewohnt sind. Es ist nicht das Geld da für Ausstattung und vor allem Kompetenz auf dem Level der Professionalität, auf dem unsere Synchron-Idole arbeiten und auch allem können Indie-Anime-Produktionen nicht mit den Gagen aufwarten, die sie für Schauspieler:innen lukrativ machen vergleichen mit massentauglichen Realfilmproduktionen.

Von diesen Produktionen können nicht alle beteiligten finanziell gut leben. Daher wird gespart, wo es geht: Lizenznehmer setzen beispielsweise auf unbekannte Sprecher:innen. Denn wer nicht vom Synchronsprechen leben muss, also noch einen Brotjob hat oder zur Schule geht, keine AUsbildunjg hat die eine hohe Gage rechtfertigen würde, akzeptiert auch kleines Geld, macht mit für den Spaß an der Sache und hält das Rollenangebot womöglich noch für eine großartige Investition in die eigene Zukunft. Aus diesem Umstand finden interessierte Laien mit Anime-Affinität wie Fandubber, VTuber, E-Girls, UwU-Mädchen und Discord-Kittens, die eine typische Anime-Piepsestimme für sich kultiviert haben, ihren Weg in die Castlisten.

Bis hierhin kann man das alles so machen und da ist nichts falsch oder verwerflich dran!

Wie entsteht toxisches Verhalten in dieser Splittergruppe?

Problematisch wird es meiner Meinung und Erfahrung nach, wenn die Fandubber, VTuber, E-Girls, UwU-Mädchen und Discord-Kittens sich in diesen Produktionen konzentrieren. Diese Akkumulation nenne ich ab hier die “Anime-Bubble”.

Als Anime-Fans ist das für sie eine große Sache, das erste Mal in einem Studio zu sein. Es ist das schönste auf der Welt und macht gleichzeitig eine riesen Angst. Angst, Fehler zu machen, nicht gut genug zu sein und vielleicht nicht nur die erste, sondern auch die letzte Rolle jemals gesprochen zu haben. Verständlicherweise sind sie in der Situation verunsichert und suchen händeringend irgendwen, an dem sie sich orientieren können. Das Studiopersonal scheidet aus, denn junge Sprecher:innen fühlen bei ihrer ersten Rolle womöglich eine natürliche Distanz zu den professionell wirkenden Mitarbeitenden. Und das, obwohl diese selbst ganz neu sind und unbedarft an die Sache rangehen. Dennoch: Wenn man ale junge/r Sprecher:in selbstbewusst wirken will und weitere Aufträge bekommen, geht man nicht zum Tonmeister oder Regisseur und redet über seine Sorgen, Unsicherheiten und Ängste. Man kompensiert sie durch, zum Beispiel, Überhöhung. Weil man funktionieren und wieder gebucht werden will. Professionell ausgebildete Sprachschauspieler:innen können damit besser umgehen, das haben sie gelernt und sich mitunter jahrelang auf diese Situation vorbereitet.

Die Anime-Bubble, in den meisten Einzelfällen bar jeder Ausbildung und professioneller Coping-Strategien, setzt dabei auf die Grüppchenbildung zur Überwindung der eigenen Defizite. Das ist einerseits positiv, da sie einander Mut und Trost spenden, aber auch gefährlich, weil sie sich ausnahmslos in allem gemeinsamen Verhalten bekräftigen – auch dem Negativen. Es ist, als würde die ganze Klasse Mathe-Nachhilfe bei einem Mitschüler nehmen, der in der letzten Klausur eine 6 hatte und dann, wenn in der nächsten Klausur alle 6 stehen dem Lehrer sagen „Wir haben alle das gleiche raus, nur Sie haben da was anderes stehen. Also muss der Fehler bei Ihnen sein.“ Die Anime-Bubble gibt sich untereinander das Gefühl, als Gemeinschaft ihre Unsicherheiten überwunden zu haben – dabei leugnen sie bloß ihre Defizite und treten gegenüber denen verstärkt feindselig auf, durch die sie sich daran erinnert fühlen, dass ihr behauptetes Verhalten nicht dem gelebten Verhalten entspricht, das wir anderen wahrnehmen können. Um diese handfeste Abwehrreaktion der Anime-Bubble auszulösen, muss man nicht einmal offensiv sagen, dass es einen Defizit gibt. Es reicht einfach, dass ein Profi, der diese Defizite objektiv sichtbar überwunden hat, sich präsentiert oder im Gespräch ist. Durch dessen Existenz entsteht bei Einzelnen in der Anime-Bubble eine Dissonanz zum behaupteten Selbstbild, das dann zu feindseligem Verhalten führen kann.

Diese Feindseligkeit wird dann von der Anime-Bubble aufgegriffen; In ihrem Selbstverständnis, um ihr Mitglied vor den negativen Empfindungen zu schützen, die diese:r Unbeteiligte in ihm oder ihr ausgelöst hat. Über Beleidigung, Verleumdung, Hass und Hetze wird diese dritte Person dann kollektiv abgewertet, um die vom Mitglied subjektiv empfundene Distanz im Grad der Qualität der Arbeit und Professionalisierung zu verkleinern. „Ja, der mag zwar erfolgreicher sein als ich, aber dafür bin ich nicht so ein Blödmann. Kein Grund neidisch auf den zu sein. Ich bin was besseres als der“, kann man dann zu sich sagen um die eigene Unsicherheit gegenüber dem Profi zu betäuben. Wie sich die Profi-Person dabei fühlt, über die man sowas sagt, beziehungsweise wenn aberdutzende Akteur:innen der Anime-Bubble das öffentlich posten, ist egal. „Der muss das abkönnen, ist ja ein Profi und wir sind ja alle derselben Meinung. Unser Verhalten kann also nicht falsch sein – sonst hätte ja jemand was gesagt.“

Wo liegt die Verantwortung dafür?

Ich persönlich sehe das so, dass ein Studio eine gewisse soziale Verantwortung hat, wenn es speziell unerfahrene Sprecher:innen in das Team holt. Ja, per Jobdefinition kann es einem egal sein und es gehört nicht zu den inherenten Aufgaben sich um die emotionale und psychische Aufgeräumtheit des Casts zu sorgen. Doch sollte jedem Menschen im Synchron mit professionellem Anspruch klar sein, dass wenn man Fandubber, VTuber, E-Girls, UwU-Mädchen und Discord-Kittens beschäftigt, soziale Defizite verschiedener Art und Ausprägung aufeinandertreffen, die Konfliktpotenzial bergen können.

Es ist meiner Meinung nach die soziale Verantwortung der Studios – sofern sie keine individuelle Betreuung leisten können oder wollen – Laien, die nicht die fachlichen und sozialen Kompetenzen für den Beruf als Sprachschauspieler:in und das Miteinander im Kollegium mitbringen, den Zugang zur Studioarbeit zu verwehren.

– Jan Theurich, Regisseur

Ich selbe praktiziere enge Kommunikation und Offenheit für nicht-arbeitsbezogene Probleme mit meinen Sprachschauspielenden. Jeder und jede soll ein niederschwelliges Hilfs- und Beratungsangebot von einem Profi im Team haben. Es gibt keine Schuld, keine dummen Fragen, und niemand erwartet Perfektion. Und damit nicht unausgesprochen so eine Annahme entsteht, sind alle dazu angehalten, offen mit mit Fehlern und dem gegebenen Raum für Fehler, umzugehen. Nicht zuletzt, damit keine sich verselbstständigen Parallelgesellschaften im Cast entstehen, wie oben beschrieben. Natürlich kann ich meine Maxime nicht von jedem abverlangen! Man muss sagen, die Studiomitarbeitenden nicht die Pflicht dazu und Studios die mit Deadlines und kommerziellem Druck arbeiten, vielleicht auch gar nicht die Möglichkeit dazu!

Das darf jedoch keine Entschuldigung sein, diese toxischen Verhältnisse einfach geschehen und die jungen Talents sich selbst zu überlassen. Wenn man eine Fürsorge nicht leisten kann, dann muss man eben auf solche jungen Talents verzichten. Das ist der Vorteil den nicht-kommerzielle Produktionen haben: Die können diese Fürsorge finanzverlustfrei leisten, wenn sie professionell betreuende Mitwirkende beschäftigen, die sich den jüngeren annehmen und sind daher der ideale Erprobungsort für junge Talents!

Ich persönlich finde das einfach schön und richtig und deswegen lebe ich das. Und wenn es Zeit und Geld kostet – mir egal! Es ist für eine gute, wholesome Sache und deshalb praktiziere ich das so!

Warum sich die Anime-Bubble ohne Hilfe von außen nicht ändern kann

Als nächstes möchte ich den Einfluss wiederkehrender Sprecher:innen aus der Anime-Bubble auf die Anime-Bubble einordnen. Immer, wenn ich mit Kolleg:innen über diese Menschen spreche, nennen wir diese scherzhaft “Queen B” wie eine Bienenkönigin. Weil eine Bienenkönigin ihr Volk koordiniert und selbst nicht Aufgaben in gleicher Zahl wahrnimmt.

Eine Queen B meint eine/n Sprecher:in aus der Anime-Bubble, der oder die schon mehrmals Rollen gesprochen hat und im Gegensatz zu den verunsicherten Fandubbern, VTubern, E-Girls, UwU-Mädchen und Discord-Kittens über ein gewisses Selbstverständnis und sicheres Auftreten verfügt. Aus der Sicht der Anime-Bubble wirkt eine Queen B wie jemand, der/die es geschafft hat. Dazu noch jemand aus den eigenen Reihen, mit denselben Startbedingungen wie man selbst – also ein Vorbild! Die jungen Sprecher:innen, die in ihrer Unsicherheit ohnehin auf der Suche nach Orientierung sind, idealisieren die bestimmt auftretende Queen B und halten sich an ihn/sie. “Alles was er/sie macht, muss richtig sein. Immerhin wurde er/sie ja schon mehrfach gebucht”, so der Gedanke.

Daraus erwächst die Konstellation einer Queen B im Zentrum der Anime-Bubble und es entsteht ein “Bienenschwarm”. Das genießt die Queen B: es bedeutet nämlich Bewunderung und Anerkennung, die extrem wohltuend ist, wenn man bedenkt, dass die Queen B auch mal ein ängstlicher, verunsicherter Neuling in der Anime-Bubble war. In ihrem Selbstverständnis ist die beschriebene Symbiose der Anime-Bubble und der Queen B eine Freundschaft. Die jungen Talents fühlen sich durch die Führung der Queen B als Teil einer Community und damit als Individuum weniger unsicher und die Queen B erfreut sich an ihrer zentralen Rolle in der Community.

Würde es dort aufhören, könnte sich niemand daran stören – das wäre nur gut und absolut wünschenswert!

Problematisch ist, dass die vorgeblichen Freundschaften zwischen der Queen B und ihrer Community, sowie der Anime-Bubble untereinander, sehr fragile Zweckbeziehungen sind. Denn obwohl die Unsicherheiten in der Gemeinschaft heruntergespielt werden, fühlt der/die Einzelne sie noch in sich. Es stehen gegeneinander der Gedanke einer Community und die Angst, dass jede:r, auch Konkurrenz ist und einem die nächste Rolle “klaut”. Man fürchtet, auszuscheiden, wenn das Momentum weg ist oder die Gunst der Gruppe. Deshalb hat jede Person in der Anime-Bubble hintergründig das Ziel, sich selbst vor der Queen B zu profilieren und Konkurrenz innerhalb und außerhalb der Bubble auszustechen. Gleichzeitig wissen sie auch, dass sie selbst das Ziel anderer sein werden und es beginnt ein Kampf hinter vorgehaltener Hand. Es gibt Grüppchenbildung, Lästereien, Lügen, Verleumdung, Mobbing, vorgespielte Beziehungen, Fake-Accounts und Shitposts und die Community, die von außen so friedlich und mächtig wirkt, ist im inneren ein brennendes Schlachtfeld.

Die Queen Bs nutzen ihre Stellung innerhalb der Anime-Bubble und hetzen ihre Follower auf Kritiker:innen und Profisprecher:innen die ihnen durch ihre bloße Existenz und ihren Erfolg die Defizite in der charakterlichen Eignung der Bubble demonstrieren. Wer nicht bei der Hetze mitmacht, verliert die Gunst der Queen B und muss um seine nächste Rolle fürchten. Und wer besonders stark beleidigt oder besonders viel hasst, sticht aus der Menge heraus und wird von der Queen B besonders anerkannt.

Warum will sich die Bubble nicht verändern?

Weil das System für diejenigen, die es steuern, gut funktioniert: Die Queen Bs. Die bloßen Mitglieder sind einfach junge Talents, ängstlich und unsicher, die nur mitspielen, weil sie denken, es gebe keine Alternative um in der Synchronbranche Fuß zu fassen.

Wir reden hier explizit nicht von der Synchronbranche, sondern von einer aufgrund ihrer geringen Bedeutung für Handwerk, Kunst und Wirtschaft marginalisierten Kleinstgruppe. Diese beansprucht für sich eine große Meinungsmacht und vermittelt jungen Anime-Fans, die einzig wahre Anlaufstelle und „Kaderschmiede“ für deren Träume im Synchron zu sein – und das ist nicht nur unwahr, sondern auch Teil einer Masche populistischer Akteur:innen mit einer destruktiven Kraft als letzter Konsequenz.

Jan Theurich, Regisseur

Jede:r aus der betreffenden Anime-Bubble leugnet diese Verhältnisse, so lange er oder sie davon profitiert, wie es läuft. “Nein, wir verstehen uns super, sind voll lieb und unterstützen uns.” Gegenstimmen hört man nur von Aussteiger:innen, die danach selbst zum Ziel ihrer ehemaligen “Freund:innen” werden und Profisprecher:innen die für eine einzelne Produktion mal Berührungspunkte mit diesen hatten. Den “einen großen Aufschrei”, den gab es nicht. Dafür ist die Anime-Bubble viel zu klein: Für die Anime-Bubble ist die Anime-Bubble eine riesengroße Sache und der Mittelpunkt der Welt – für die Branche als ganzes, und damit auch für seriöse Anime-Vertonungen – spielt sie keine Rolle.

Mein Fazit der gegenwärtigen Verhältnisse

Wir erinnern uns: Animes sind in Deutschland niedrigst budgetiert und richten sich an junge Sprecher:innen ohne erforderliche Ausbildung, die nicht von der niedrigen Gage abhängig sind. Man wird in diesem Bereich also keinen einzigen Profi treffen, keine ordentlich ausgebildeten Darstellenden, keine hauptberuflichen Schauspielenden und vor allem niemanden, der sein oder ihr Leben von der Kunst bestreitet. Und damit einher geht, dass man in der Anime-Bubble niemals eine gefestigte, reife Persönlichkeit und kein Vorbild treffen können wird. Eine Queen B ist das beste, was die Anime-Bubble kennt, aber nicht das beste, was es im Synchron gibt.

Während die Anime-Bubble metaphorisch gesprochen auf ihrem Hügel sitzt und sich die Augen zuhält, ragt neben ihnen einen riesiger Berg in die Höhe aus professionellen Schauspielenden, Technischen Mitarbeitenden und Regien die an den wahren Produktionen arbeiten und ein wertschätzendes, kollegiales Miteinander pflegen. Und dass sie das niemals sehen werden, und denken – beziehungsweise denken wollen – ihr Hügel sei das non-plus-ultra, und sie das Verhalten der Anime-Bubble akzeptieren, ist furchtbar toxisch.

Ich möchte mit einem persönlichen Anknüpfungspunkt enden

Ich engagiere mich in der Nachwuchsförderung; Deshalb ist es mir nicht egal. Täte ich einfach nur meinen Job auf dem Berg, könnte es mir nicht egaler sein. Aber ich will auf den Hügel schauen, weil ich die Hoffnung und das Ideal habe, vielleicht helfen zu können. Und wenn ich nur eine:n inspirieren kann, rüber auf den Berg zu hüpfen ist schon viel gewonnen.

Leider ist das ein schweres Unterfangen, denn zum einen hat die Anime-Bubble eine solide Schale darin, dass ihre Mitläufer so stark eingeschworen sind, zum anderen ist die Anime-Bubble für junge Menschen viel verlockender als die Synchronbranche: “Du brauchst keine Ausbildung! Pack deine UwU-Stimme aus und lebe deinen Traum” klingt viel verlockender als “Das ist harte Arbeit und wenn du dich jetzt voll rein hängst hast du in 2 Jahren deine erste Rolle” – Sofortige Befriedigung gegen eine Investition in nachhaltigen Erfolg. Da macht es Sinn, dass gerade junge Sprecher:innen die objektiv falsche Wahl für ersteres treffen.

Können Sie machen, könnte uns allen egal sein – wenn der Preis der Anime-Bubble nur nicht der Hass wäre.

Edit #1: Audio eines Kollegen

Liebe Leser:innen,

Kurz nach der Veröffentlichung dieses Blogartikels hat mich ein bekannter Sprecher, der namentlich nicht auftauchen möchte, auf WhatsApp angeschrieben. Oder viel mehr: er hat eine Reihe von Sprachnachrichten gesendet und war ganz fasziniert davon. Er selbst war vor kurzem auf die Anime-Bubble aufmerksam geworden und hat dank diesem Beitrag seine “losen Fäden” in einen Zusammenhang bringen können. Dabei hat er so schlaue Sachen in so präzisen Worten gesagt, dass ich sie hier mit euch teilen will:

Das sind im Prinzip, wenn du sie dir anguckst, alles junge, schüchterne Menschen, die sich in eine Nische begeben und sich dort in ihrem geglaubten Wissen ausleben. Dadurch, dass die Synchronbranche ein “Hinterstübchen-Job” ist, wo man zwar seine Stimme preisgibt, aber nicht die eigene Person, ist es für solche Menschen natürlich einladend, sich dort auszuleben. Wenn du schon damals in der Schule immer untergebuttert wurdest, der Nerd warst oder die Streberin, dann entwickelt sich irgendwann eine depressive Persönlichkeit. Und jetzt bist du auf einmal – gefühlt – so eine “wichtige Person” und die anderen Kinder auf dem Schulhof reden über dich. Da fühlst du dich schon besser.

Es sind schüchterne, Nischenbegeisterte mit sozialer Isolationserfahrung, die aus ihrem Versteck in eine Scheingemeinschaft eintreten, und dort unter Gleichgesinnten eine Bestätigung ihres bisherigen Verhaltens finden. Dadurch haben sie keinen Anreiz, sich weiterzuentwickeln, sondern agieren stattdessen als Kollektiv für eine selbstgerechte Sache.

Durch die Summe dieser Eigenschaften und dadurch, dass alle ähnlich gepolt sind, neigen sie dazu, einander zu bekräftigen, auch wenn sie falsch liegen. Daraus entwickelt sich eine Gruppe, die vor außenstehenden, nicht gleichdenkenden oder affinen Menschen resistent ist. Es bildet sich eine abgeschottete Community mit parasitären Zügen, in der die Mitläufer von gegenseitiger Bestätigung abhängig werden und als Individuum verblassen. Heutzutage sagen ja alle, dass so etwas wie ein „Führer“, nicht mehr passieren könnte. Dass sich in einer Gruppe nicht eine Person herausstellen und Machtspiele spielen könnte. Aber die Anime-Bubble erinnert mich an den Roman “Die Welle”.

Warum entwickelt sich in solch einer Bubble gegenüber Kritikern und Aussteigern eine solche Aggressivität, wie man sie in den Hetzkampagnen sieht? Weil die Probleme, die die Individuen haben, von ihrem jeweiligen sozialen Umfeld nicht wahrgenommen werden und sie sich deshalb in die Arme dieser toxischen Bubble flüchten, wo man die Probleme zwar auch nicht löst, aber wenigstens ernstnimmt, weil alle die gleichen haben.

So wie Kinder beim ersten Schwarm, dem ersten Kuss, dem ersten Korb – das ist für uns Erwachsene ein Fall für “Schwamm drüber“, aber als Kind zerbrichst du daran, wenn du mit deinen neuen Gefühlen nirgendwo hin kannst. Wir werten das zwar gerne ab, weil wir als Erwachsene das gewohnt sind, aber wenn wir akzeptieren, dass deren Probleme in Relation genauso groß sind wie unsere, fühlen sich auch junge Menschen von uns akzeptiert und abgeholt und brauchen keine Bubble und keine Queen Bs.

Dann können die bei uns mitmachen und lernen, wie Synchron richtig geht.

Edit #2: Reaktionen

Liebe Leser:innen,

Vor wenigen Tagen veröffentlichte ich diesen Meinungsbeitrag über die „Anime-Bubble“. Die erste Reaktion darauf kam von einem bekannten Sprecher, der mir beipflichte und seinerseits den Beitrag noch ergänzte.

Die folgenden Reaktionen kamen aus der Anime-Bubble selbst. Obwohl keine Namen genannt wurden, fühlten sich einige Akteur:innen persönlichst angesprochen und reagierten mit Hass und Hetze im Netz, posteten öffentlich über mich mit Beleidigungen und Verleumdungen, doxxten mich zum wiederholten Mal, riefen mit unterdrückter Nummer an. Das bestätigt das im Beitrag beschriebene Verhalten und zeigt, dass die Akteur:innen sich ihres Verhaltens bewusst sind und sich darin wiedererkennen.

Edit #3: Audio eines Kollegen zu den Vorfällen aus dem letzten Edit

Als ich jung war, habe ich die Anime-Szene ganz anders erlebt. Ich weiß, es belastet dich, aber du bist schon eine gewisse Größe für die; Muss man einfach mal anerkennen. Wenn du so wichtig bist – oder unwichtig -, dass die solche Debatten über deine Meinung halten, unabhängig davon, wer du bist und was du machst, dann kannst du dir auf die Schulter klopfen. Ich habe mehr so das Gefühl, dass du die Queen B bist – die orientieren sich alle an dir, auch wenn du das gar nicht willst!

Wärst du so unbedeutend und unfähig, wie die behaupten, würde es niemanden jucken was du laberst. Dann würden die dich ignorieren und einfach ihr Ding machen. Man müsste sich gar nicht mit dir auseinandersetzen, wenn du egal wärst. Stattdessen geht es bei denen nur um dich, das ist unfassbar!  Damit meine ich nicht, dass du ein Arsch bist oder sowas. Ich meine, die sind hart mit dir beschäftigt. Du bist offenbar gar nicht so unwichtig. Du hast da was zu melden! Die versuchen, dich schlecht zu machen. Aber wenn du so blöd und unwichtig wärst, dann müssten die das ja gar nicht machen. Dann würde deine Dummheit ja für sich sprechen und jeder könnte ganz von alleine sehen, wie unwichtig du bist. Dann müssten die dich gar nicht angreifen, verstehst du? 

Eigentlich bist du denen einfach überlegen! Lass dir das mal durch den Kopf gehen! Die erfinden Lügen über dich, beleidigen dich, verurteilen deine Auszeit – und eigentlich bist du derjenige, der die ganze Zeit da oben steht. Merkt man auch wieder an deinem Beitrag: Du sagst, wie die Lage ist und die Anime-Bubble stürzt sich drauf. Denen ist bewusst, wie sie sind und was sie machen. Sie fühlen sich zu der Gruppe aber zu sehr hingezogen, obwohl du eigentlich derjenige bist, zu dem sie wollen – das willst du aber nicht! Du willst die Position als deren Queen B gar nicht haben! Du bist wie eine Mottenlampe. Du leuchtest, die kommen an, wollen deine Aufmerksamkeit und werden brzzzt von der Lampe gegrillt. Deshalb wollen sie deine Aufmerksamkeit aus der Ferne erregen.

Ich habe mal ein paar der Leute gegoogelt, die über dich hergezogen sind. Ich finde selbst über [Name], [Name] und [Name] mehr, als über die. Es gibt Sprecher, die auch mal Queen Bs waren, aber den Schritt aus dieser Bubble raus geschafft haben. Die distanzieren sich davon, auch wenn sie noch Connections dahin haben, aber die werden sie irgendwann vergessen. Die erreichen was im Synchron und brauchen die Bestätigung dieser Bubble nicht mehr.

Wie so eine [Name] zum Beispiel – das ist ihr alles Latte mittlerweile, sie ist viel weiter, das ist Vergangenheit! Aber das checkt diese Anime-Bubble gar nicht, weil die sich alle gegenseitig auf der Stelle gefangen halten. Lass die reden, was sie wollen – meinst du später interessiert sich noch einer dafür? Das ist schon eine eigene, kleine Welt. Und wenn das die heutige Anime-Szene ist… hui, das ist hart. Das ist so ein ultrakleiner Kosmos, unter anderen Umständen hätte ich den Mist nie mitgekriegt.

Die Vermutung des Kollegen, wo diese Verhaltenskultur herstammen könnte

Ich kenne das von früher auch noch. Die Videospieler, die Animegucker – wir waren die Nerds. Wir durften auf dem Schulhof nicht mitspielen, weil die anderen uns “zu anders” fanden. Die gesellschaftlichen Regeln, die deren Zusammenhalt definierten, haben uns ausgeschlossen. Und wenn wir trotzdem versucht haben mitzumachen, hieß es “Angriff!” und wir wurden ordentlich verprügelt.

Also haben wir unseren eigenen Club gegründet. Wo wir nur die Videospieler und die Animegucker haben mitspielen lassen. Und wir haben Regeln gemacht, die uns Nerds willkommenheißen. Aber auch Regeln, die dafür sorgen, dass niemand, der kein Nerd ist, in unseren Club reinkommt. Und wenn einer trotzdem nicht locker lassen wollte hieß es “Attacke” und wir haben ihm oder ihr ordentlich zugesetzt.

Jetzt will ich den Bogen zur Anime-Bubble schlagen. Früher war die nicht so. Animes waren das einfach Synchronjobs für Zeichentrick wie jeder andere und die Kinder haben es einfach geliebt, im Fernsehen zuzuschauen! Da hatten wir keine Bubble, sondern maximal eine Szene. Da gab es auch keine Queen Bs und Hetze und Druck. Animes waren einfach da und es war schön 😍

Auf den Schulhöfen hat dieser Hype leider die missgünstigen Mobber inspiriert. Nicht weil an Animes etwas falsch ist! Beim Mobbing sucht man sich ein beliebiges Merkmal und nimmt das dann zum Vorwand, jemanden immer wieder zu ärgern. Das waren damals leider häufig die gehypeten Animes. Bei mir zum Beispiel war Pokémon der vorgebliche Aufhänger – bis ins Abitur.

Die Kinder, die aufgrund ihres Nischeninteresses Isolationserfahrungen machten, hatten nur selten das Glück, in ihrem lokalen Umfeld Gleichgesinnte zu finden, soziale Kontakte zu knüpfen und Sicherheit zu erlangen. Als dann zu meiner Zeit das Internet für Kinder erreichbar wurde, konnte man zielgerichtet nach Gleichgesinnten von überall suchen. Und wenn man Zeit in diesen Internet-Communities verbrachte, fühlte man sich nicht mehr alleine.

Musste man abgestempelt als Nerd in die Schule, ging man in der Realität durch das Feuer. Aber danach, Zuhause am PC, hatte man Zugang zu einer schönen Welt. Als dann später die Smartphones kamen, und man die “schöne Welt” immer dabei hatte, konnte man die Realität besser ausblenden und die Online-Freunde immer parat haben.

Ein, zwei Generationen später waren die Animegucker, die Videospieler und Pokémon-Fans alle miteinander verbunden und stark genug, nicht mehr als “die doofen Nerds” hingestellt und verprügelt zu werden. Wir haben unser eigenes Ding gemacht und waren nicht mehr auf die Bestätigung von da draußen angewiesen. Wir haben einander akzeptiert und uns Halt gegeben. Die Jugend von heute wächst schon damit auf, muss sich keine Communities mehr erkämpfen und sich gegen Mobber wehren. Im Internet liegt alles schon für sie bereit. Wer heute zum Beispiel als junger Mensch den Traum hat, Animes synchronisieren zu wollen, kommt mit einem Klick in die Anime-Bubble.

Die oben erwähnten kleinen Studios und Lizenznehmer sehen diese Bubble als Pool, aus dem sie neue, günstige Stimmen schöpfen können, und besetzen daraus ihre Produktionen. Und so entsteht das eingangs beschriebene Umfeld. Weil die Anime-Szene von früher heute mit Fandubbern, VTubern, E-Girls, UwU-Mädchen und Discord-Kittens besetzt wird, hat sich die Kultur des Kollegiums im diesem Fach drastisch verändert.

Leider hat die Anime-Bubble, die mit einer tollen Botschaft angetreten ist, den Punkt verschlafen, wo sie von einer Gegenbewegung selbst zu Mobbern geworden sind und andere bekämpfen.

Warum ein Austritt schwer ist

Aus der Anime-Bubble austreten heißt für junge Menschen ganz alleine den Blindflug in eine unbekannte Welt zu wagen, während die alte Community einen jagt – die Sprengung der eigenen Komfortzone und das Ablegen aller falschen Überzeugungen und des geglaubten Wissens. Um aus der Anime-Bubble raus zu kommen, muss man stark sein. Nicht nur verliert man dutzende Menschen, die man zuvor fälschlicherweise für “Freunde” gehalten hat, man macht sich diese Personen auch direkt zu Feinden. Denn wer aussteigt, gilt als Verräter:in und wird öffentlich fertig gemacht.

Das bricht nicht nur die Persönlichkeit, sondern macht auch Angst, dass diese öffentliche Schmierkampagne einer zukünftigen Karriere im Weg stehen könnte, wenn man von den Queen Bs für Animes praktisch geblacklistet wird. Es braucht also auch das Vertrauen in die fremde, unnahbare Synchronbranche und ihre erwachsenen, vernünftigen Akteure und das Wissen um die Sicherheit, dass Animes nur ein kleiner Teil am Rande davon sind und gemessen am Budget ein noch viel kleinerer, um dem Druck der Anime-Bubble standzuhalten.

Ich hatte in 2023 eine extrem tolle Schülerin, Sprecherin und Freundin kennengelernt, die aus der Anime-Bubble raus wollte. Ich habe sie gelehrt, professionalisiert und ihr Kontakte an die Hand gegeben. Um das in eine Karriere im echten Synchron zu verwandeln, musste sie sich nur noch von der Anime-Bubble trennen und war nach unserer letzten Begegnung fest entschlossen! …Doch sie ist dem Druck der Anime-Bubble erlegen, hat alles hingeworfen und sich wieder hörig in deren Reihe eingeordnet. Sie wird nie die Karriere kriegen, die sie verdient und die sie hätte haben können.

Es tut mir höllisch weh, dieses Talent und diese herzliche Freundin verloren zu haben. Und dann noch an diese Tümpel.Wenn Sie eine zweite Chance möchte, und diesmal wirklich durchzieht, ist sie aber jederzeit mit offenen Armen bei mir willkommen! 🙂 Ich kann euch allen nur dasselbe anbieten, und zwar meinen Beitrag zu leisten und Hilfestellung zu geben: Jede:r der da raus will, findet bei mir ein offenes Ohr und ich möchte mit Rat und Tat zur Seite stehen. Man muss aber den Mut, die Ausdauer und die Bereitschaft für eine über Jahre andauernde Entwicklung mitbringen. Das kann ich nicht übernehmen. Schreibt mir auf Instagram oder per Mail an Kontakt@theurich-media.de.

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