8 falsche Annahmen über Sprecher:innen

Außenstehende denken: Mund auf, Mund zu – Das sei die Arbeit von Sprecher:innen. Und das mach‘ ich auch jeden Tag, unbezahlt. Warum nehmen die so viel Geld? Und reden von Kunsthandwerk?

Die Arbeit von Sprecher:innen und Sprachschauspieler:innen ist von Vorurteilen und Missverständnissen umgeben. Viele Anfänger:innen hören Aussagen, die sie verunsichern und dazu bringen, an ihren Fähigkeiten oder der Zukunft zu zweifeln. In einem Instagram-Reel habe ich neulich die acht häufigsten, oft auch „dummen“ Aussagen über die Branche beleuchtet.

In diesem Artikel erkläre ich, was hinter diesen Ausssgen steckt und was man wirklich wissen musst, um in dem Beruf Fuß zu fassen.

„Niemals kleine Rollen annehmen.“

„Kleine Rollen bringen dich nicht weiter!“ – Diese Aussage ist nicht nur falsch, sondern schießt voll am Ziel vorbei: Gerade am Anfang ist es wichtig, Erfahrung zu sammeln und sich zu beweisen. Kleine Rollen helfen nicht nur, das Kunsthandwerk zu perfektionieren, sondern öffnen auch überhaupt erst Türen zu größeren Projekten. Niemand besetzt einen Menschen ohne fachliche Kredibilität für eine Hauptrolle. Der Weg zum Beruf beginnt oft mit den scheinbar kleinen, unscheinbaren Aufgaben. Ach ja, und: Wenn doch angeblich nur Hauptrollen zählen, warum gibt es dann bei Award-Shows immer Preise für Nebenrollen und Newcomer?

2. „Man braucht keine Ausbildung.“

Oft hört man als Sprecher:in das Vorurteil, dass Sprechen kein Job sei. Dass jeder im Alltag redet, das nichts besonderes sei und die Preise für „30 Sekunden Mund auf und zu“ völlig absurd. Außenstehende denken oft, dass Sprecher:innen einfach Leute sind, die zufällig eine „schöne“ Stimme haben und aus einem Talent – ohne eigenes Zutun – Profit schlagen würden. Doch die Wahrheit ist, dass das Thema viel tiefer geht! Eine fundierte Ausbildung lehrt nicht die Schönheit der Sprache, sondern ihre Regeln, Physiologie, Techniken und Wirkung. Eine professionelle Ausbildung lehrt handwerkliche und künstlerische Aspekte, um Rollen und Anforderungen individuell und treffsicher bedienen zu können. Talent allein reicht nicht aus – es braucht Übung und Wissen, um wirklich auf höchstem Niveau zu arbeiten. Eine Ausbildung in Schauspiel und Sprecherziehung ist die Grundlage, auf der man als Sprecher:in aufbauen muss.

3. „Du hast aber eine schöne Stimme.“

Ein super liebes Kompliment von Konsument:innen; Die drücken damit ihre Sympathie aus. Aber wenn das jemand zu dir sagt, der oder die sich als Expert:in vorstellt: Lauf! Denn „Schön“ ist keine fachliche Analyse, sondern eine allgemeine und subjektive Wertung.

Sprechen – beziehungsweise Sprachschauspiel – besteht nicht nur aus der Stimmfarbe, sondern auch in der Fähigkeit, Emotionen und Botschaften zu transportieren, Charaktere lebendig werden zu lassen und mit der Stimme Geschichten zu erzählen. Die Stimmfarbe ist egal. Auch jemand mit einer rauen, „kaputten“ Stimme, wäre immer noch die perfekte Synchron-Besetzung für einen Gangster oder Kettenraucher. Es gibt keine Unterscheidung zwischen „schön“ und „unschön“ in der Branche. Die eigentliche Kunst liegt in der Technik, der Emotionalität und dem Ausdruck.

4. „Ohne Kontakte keine Chance.“

Dieses Vorurteil ist besonders für Anfängerinnen der Branche ein riesen Downer. Aber ist es wirklich so, dass ohne Kontakte gar nichts geht? Sicher, Netzwerke und Beziehungen können dabei helfen, eine hohe Position zu besetzen, aber das ändert nichts an der Eignung. Möglichst schnell aufzusteigen und Geld zu verdienen ohne Qualifikation ist ein Traum der Boomer-Generation die als Kinder erlebt haben, wie ihre Eltern in der Nachkriegszeit verzweifelt Ressourcen horten mussten um die Familie irgendwie durchzubringen. Hauptsache viel und schnell war die Devise. Das ist weder auf heute Übertragbar, noch notwendig, noch angebracht. Die Fähigkeiten, das Engagement und die Professionalität sind letztlich entscheidend. Es geht nicht ums Aufsteigen und Looten sondern darum, seinen Plstz zu finden. Kontakte können helfen, aber sie ersetzen nicht die Arbeit an den eigenen Skills. Es gibt viele Wege, sich als Sprachschauspieler:in oder Sprecher:in einen Namen zu machen, ohne auf ein bestehendes Netzwerk angewiesen zu sein.

Die Erzählung von der Notwendigkeit von Kontakten würde je implizieren, dass ganze Stammbäume vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen wären – und das unendlich weit in die Zukunft. Und es hieße, dass du eigentlich gleich aufgeben solltest, weil das eh nicht klappen würde – und dass das Quatsch ist, sollte jedem klar sein.

5. „Du musst bei einer Agentur sein.“

Es stimmt zwar, dass eine Agentur helfen kann, den Einstieg zu finden und die richtigen Aufträge zu vermitteln, doch sie ist nicht zwingend notwendig. Oder krasser: sie kann sogar hindern!

Es gibt auch zahlreiche Sprachschauspielende, die ohne Agentur arbeiten, indem sie sich selbst vermarkten oder über Plattformen ihre Aufträge finden. Es ist wichtig, die eigenen Optionen zu kennen und den besten Weg für sich selbst zu wählen. Eine Agentur ist eine von vielen Möglichkeiten, aber keine Garantie für Erfolg. Hier tauscht man potenziell Geld, Freiheit und Kontrolle ein gegen die Illusion, dass ein anderer das Klinkenputzen übernehme und deine Zukunft plane. Daher Vorsicht bei Agenturen, nicht alle sind seriös!

6. „Warte darauf, entdeckt zu werden.“

„Wenn du gut bist, wirst du irgendwann schon entdeckt.“ Dieses Märchen wird häufig erzählt, besonders an Nachwuchstalente. Doch die Realität ist oft anders. Warten ist keine Strategie. Stattdessen ist es wichtig, selbst aktiv zu werden: An Castings teilnehmen, sich in non-com Produktionen zeigen, mit anderen Kreativen zusammenarbeiten. Die Sichtbarkeit ist ein aktiver Prozess. Erfolg im Sprachschauspiel erfordert kontinuierliches Engagement und eine proaktive Haltung.

7. „Der Job stirbt aus wegen KI.“

Dieser Mythos hält sich hartnäckig. Viele glauben, dass KI die menschliche Stimme bald komplett ersetzen wird. So wie manche heute wegen KI den Untergang herbeischwurbeln, haben das im letzten Jahrhundert die Leute wegen Computern getan und noch mal zweihundert Jahre früher wegen der Dampfmaschine. Und siehe da: Es gibt noch menschliche Arbeit; Die Technologien haben wir als Werkzeuge integriert.

Zwar ist KI ein spannendes und zunehmend genutztes Werkzeug, besonders im Bereich der Spracherkennung und -synthese, doch sie wird die Kunst des Sprachschauspiels nicht ersetzen. KI mag vielleicht einfache, mechanische Aufgaben übernehmen, wie das korrekte vorlesen von Texten – aber wenn ein Mensch nur das kann und nichts anderes, sollte er oder sie ohnehin nicht als Sprecher:in arbeiten. KI wird niemals das menschliche Einfühlungsvermögen, die Emotionen und die feinen Nuancen einer Stimme nachahmen können. Sprachschauspielende bringen etwas Einzigartiges in ihre Arbeit ein, das KI niemals ersetzen werden kann.

8. „Du brauchst keinen Plan B.“

Es gibt tatsächlich einige Menschen, die alles auf eine Karte setzen, doch die Wahrheit ist: Ein Plan B kann ein wichtiger Bestandteil der Karriereentwicklung sein. Sicherheit ist ein menschliches Grundbedürfnis. Die Sprachschauspielbranche ist unvorhersehbar und wettbewerbsintensiv. Ein zusätzlicher Plan, sei es in Form einer weiteren Qualifikation oder eines alternativen beruflichen Fokus, verschafft Sicherheit. Dies bedeutet nicht, dass du weniger engagiert sein solltest, aber es hilft, flexibel zu bleiben und dich nicht nur auf eine einzige Karriereoption zu verlassen. Wenn du die Zeit zwischen zwei Engagements überbrücken musst, ist ein Brotjob der irgendwie Spaß macht wesentlich erträglicher als für 450€ in der Sommerhitze irgendwo zu kellnern.

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