In der Welt des Audio-Storytellings gibt es zwei Fraktionen: Die einen feiern perfekte Technik und hochgestochene Sprache. Die anderen – und zu denen zähle ich mich – suchen in einem Take weniger nach technischer Brillanz als nach emotionaler Wahrheit. Und die ist selten makellos.
Denn das echte Leben ist nicht perfekt. Es ist roh, widersprüchlich, überfordernd. Genau das möchte ich hörbar machen.
Wenn Stimmen stolpern dürfen
Authentizität beginnt für mich mit Sprache. Ich will Alltagssprache. Umgangssprache. Nuscheln, stammeln, überschlagen. Wut, bei der man sich verhaspelt. Verzweiflung, bei der Worte verschwimmen. Wenn wir in echten Situationen Menschen zuhören, verstehen wir auch nicht immer jedes Wort – aber wir verstehen sie trotzdem. Weil wir den Moment fühlen. Dieses Prinzip übertrage ich auf Hörspiele: Ich möchte das Gefühl erzeugen, dass eine Szene auch passieren würde, wenn niemand zuhört.
Es geht nicht darum, eine sprachverständliche Nacherzählung von Ereigmissen zu „designen“. Es geht darum, das Publikum vergessen zu lassen, dass hier überhaupt jemand etwas gestaltet hat. Das schafft Nähe. Und Tiefe.
Technik als Werkzeug – nicht als Ziel
Natürlich muss eine Produktion technisch sauber sein. Hall- und rauschfreie Aufnahmen sind Pflicht. Aber: Das ist die Grundlage – nicht der Anspruch. Erst durch das gezielte Einsetzen von Hall, Störgeräuschen, Raumklang und authentischem Lautstärkeverhalten wird aus Technik wieder ein Gefühlsträger. Ein Telefongespräch darf sich wie ein Telefongespräch anhören – mit Verzerrung, mit Echo, mit dumpfem Rauschen. Und es darf leiser sein als die Stimme im Raum. Weil das der Realität entspricht.
Ich arbeite mit perfekten Rohaufnahmen, um mir im Schnitt die Freiheit nehmen zu können, sie zu „verschmutzen“. Erst dadurch wird’s real.
Regie mit Gänsehautindikator
In der Regie verlasse ich mich auf mein Bauchgefühl. Wenn ein Take mich emotional trifft, spüre ich das sofort: Kribbeln. Gänsehaut. Ich vergleiche die Performance mit der inneren Klangidee, die ich beim Schreiben der Szene hatte. Und wenn das übereinstimmt, bin ich aufgeregt wie ein Kind.
Diese Verbindung zwischen Text, Regie und Spiel entsteht aber nur, wenn man auch die Menschen sieht, nicht nur die Rollen. Ich achte sehr auf das Vertrauen im Studio – und darauf, dass Schauspielende sich sicher genug fühlen, um nicht perfekt zu sein. Ich sage oft: „Hörbuch ist Handwerk. Hörspiel ist Kunst.“ Und in der Kunst ist richtig und falsch subjektiv.
Sprachverständlichkeit ist kein Dogma
Es gibt Szenen, da muss man nicht jedes Wort verstehen. Wenn jemand verheult ist, verzweifelt oder in Rage – dann darf das auch so klingen. Vorausgesetzt, der emotionale Kontext wurde vorher klar genug etabliert, dass das Publikum intuitiv mitgeht. Ein Take ist genau dann gut, wenn man ihn fühlt – nicht wenn man ihn transkribieren kann.
Ein Beispiel: In einer meiner Produktionen hatte ein liebenswerter Polizist einen überzogenen holländischen Akzent. Kaum einer seiner Sätze war wirklich verständlich. Und trotzdem – oder gerade deshalb – war er die Lieblingsfigur vieler Hörer:innen. Weil er Seele hatte und gute Laune verbreitete.
Erfahrung formt Authentizität
Man lernt nicht durch authentisches Produzieren mehr über sich selbst – man produziert authentisch, weil man schon viel über sich gelernt hat. Über das Leben. Über Menschen. Über Schmerz, Liebe, Verlust, Hoffnung. Je mehr Facetten des echten Lebens man kennt, desto glaubwürdiger und nuancierter wird das, was man erzählt. Und das Publikum merkt das.
Warum nicht alle so arbeiten müssen
Ich würde nie fordern, dass alle Produktionen so klingen sollen wie meine. Es braucht auch die Hochglanzformate. Die klaren Stimmen. Die drei ???, bei denen jedes Wort verständlich ist. Das ist okay. Alles darf parallel existieren. Denn auch Vielfalt ist Authentizität.
Ich selbst – ich stehe zu 100 % auf der Seite des Gefühls. Ich baue lieber eine Szene, die sich anfühlt wie ein echter Moment zwischen echten Menschen, als eine, die klingt wie ein makelloses Produkt. Wenn ich dabei Leuten helfen kann, die das auch wollen: Umso besser.